Wir brauchen mehr Frauen, die aufstehen und sagen: "So nicht!"
Main-Echo Pressespiegel

Wir brauchen mehr Frauen, die aufstehen und sagen: "So nicht!"

Interview mit Hebamme Eva Placzek zu Ihrem ersten Buch
Schöllkrippen  Wir sp­re­chen mit Sc­höllkrip­pe­ne­rin Eva Plac­zek, die sich ge­gen Ge­walt im Kreiß­saal und für ei­ne men­sch­li­che­re Ge­burts­hil­fe ein­setzt über ihr neu­es Buch und ih­re Ar­beit als frei­be­ruf­li­che Hebam­me.

Sie haben im Februar Ihr erstes Buch, mit dem Titel "Ich, Hebamme, Mittäterin" veröffentlicht. Wie lautet die Botschaft Ihres Buchs in zwei Sätzen?

Auf der einen Seite soll das Buch Frauen dazu anregen, wieder an sich zu glauben und für mehr Selbstbestimmtheit einzustehen. Auf der anderen Seite möchte ich alle Fachkräfte daran erinnern, dass sie mit Menschen arbeiten.

In Ihrem Buch sprechen Sie über Gewalt im Kreißsaal und kritisieren damit auch das aktuelle System der Geburtshilfe. Wie sind die ersten Reaktionen in Ihrem beruflichen Umfeld?

Bisher habe ich insgesamt mehr Feedback von Hebammenkolleginnen als von Ärztinnen und Ärzten bekommen. Das Feedback ist aber durchweg positiv und viele fühlen sich durch das Buch sehr angesprochen. Vor allem Schülerinnen und Studentinnen schreiben mir, dass sie sich endlich gesehen und gehört fühlen.

Wie in vielen medizinischen Bereichen gibt es auch in der Geburtshilfe Missstände. Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen für diese Mängel?

Grob kann ich das in zwei Säulen aufteilen: Einerseits das Systemische. Gerade, wenn es um weibliche Themen, wie Verhütung, Pille, Schwangerschaft und Wochenbett geht, wurde die Forschung hinten angestellt, was zu Wissenslücken und einer Wissensungleichheit unter Fachkräften führt. Und andererseits das Finanzielle. Wir Hebammen sind, was die Bezahlung angeht, einfach sehr schlecht aufgestellt, was auch ein Grund für den Fachkräftemangel ist. Dazu kommt die gesellschaftliche Dimension: Es ist immer noch oft so, dass alle ruhig sind, wenn der Arzt reinkommt und es kommt immer wieder vor, dass Frauen mich aufgelöst anrufen, weil der Gynäkologe die Behandlung verweigert, wenn sie Hebammenbetreuung wünschen. Das kann doch nicht sein! Und viele fügen sich dann. Wir bräuchten einfach mehr Frauen, die aufstehen und sagen: So nicht! Aber ich möchte auch ganz klar sagen: Wir Hebammen wünschen uns nichts mehr, als eine kollegiale Zusammenarbeit mit Ärzten und Ärztinnen - dieser Kampf zwischen Hebammen und Ärzten muss endlich aufhören, weil am Ende immer die Frau in der Mitte steht. Egal ob im Kreißsaal oder in der Vorsorge - wir können wunderbar interprofessionell zusammenarbeiten, aber dafür müssen alle anpacken.

Haben Sie das Gefühl, dass Schwangerschaft und Geburt in unserer Gesellschaft noch immer Tabuthemen sind und gerade deswegen eine Aufklärung wichtig ist?

Ja, auf jeden Fall. Da sind wir wieder generell bei den weiblichen Themen. Ich war für das Buch in einer Grundschule und habe mir angeschaut, wie das von klein auf ist mit der Aufklärung. In der Grundschule sind die Kinder noch interessiert und stellen Fragen, ohne Scham. Ich habe mich im Nachhinein gefragt: Wann fängt das an, dass wir aufhören über solche Themen offen zu sprechen? Die meisten Frauen mit positivem Schwangerschaftstest rufen den Gynäkologen an, weil man das halt so kennt. Aber was zum Beispiel Vorsorge ist - das wissen viele nicht und wenn man dann keine Fachkraft hat, die alles richtig erklärt, dann bleibt dieses Tabuthema leider auch Tabu. Das ist traurig. Aber ich sehe viel Potenzial in Social Media, was die Aufklärung zu diesen Themen angeht.

Sie arbeiten freiberuflich als Hebamme, sind auf Social Media aktiv, waren Teilnehmerin bei Miss Germany und haben jetzt auch noch Ihr erstes Buch geschrieben. Wie finden Sie die Zeit für all das?

Ich liebe Zeitmanagement (lacht), auch wenn ich zu meinen Hausbesuchen meist grundsätzlich eine Viertelstunde zu spät bin. Ich bin gerne beschäftigt und das was ich beruflich mache ist irgendwo auch mein Hobby. Aber das ist ein ganz großer Luxus für mich. Ich habe viele Interessen und denen gehe ich auch nach, weil das einfach zu mir gehört.

Haben Sie trotz Zeitmanagement manchmal das Gefühl, dass einzelne Ihrer Engagements oder der eigentliche Hebammen-Job dabei zu kurz kommen?

Ich bin sehr positiv überrascht, dass sich die einzelnen Teile so gut ergänzen. In gewissen Umbruchzeiten hat man immer mal das Gefühl, dass alles sehr anstrengend ist und vor allem das Privatleben ein bisschen kürzer kommt. Aber dadurch, dass eigentlich alle meine Engagements, egal ob Social Media, Öffentlichkeitsarbeit, meine Freiberuflichkeit oder das Schreiben meines Buches sich mit der gleichen Thematik beschäftigen, ergänzen sie sich ganz gut. Und das Schöne an der Freiberuflichkeit ist, dass ich entscheiden kann, wie viele Frauen ich gerade annehmen möchte.

Was müsste Ihrer Meinung nach in unserer Region passieren, damit die Zustände in der Geburtshilfe sich verbessern?

Wir haben hier in der Region ja schon den Vorteil, dass wir eine eigene Hochschule mit Studentinnen der Hebammenkunde in Aschaffenburg haben. Man müsste jetzt allerdings diesen Studentinnen die Möglichkeit geben, auch die außerklinische Geburtshilfe kennenzulernen. Es gibt zwar die vorgesehenen Externatszeiten, aber die nächsten Geburtshäuser sind in Würzburg und Frankfurt. Wir haben eine Hausgeburtshebamme im Main-Kinzig-Kreis und zwei in Frankfurt, die auch mal nach Aschaffenburg kommen. Aber bei uns im Umkreis gibt es kaum eine Möglichkeit die außerklinische Geburtshilfe kennenzulernen.

Sie haben in der Vergangenheit auch davon gesprochen, ein Geburtszentrum in unserer Region gründen zu wollen.

Das ist noch ein weit entferntes Zukunftsprojekt. In meinem Buch habe ich diese Vision auch beschrieben: Ein Geburtszentrum mit Hebammen, Gynäkologen, Physiotherapeuten, Kinderkrankenschwestern und Kinderärzten an einem Ort. Dort wäre eine ganzheitliche Betreuung von Anfang bis Ende möglich. Dieser Raum für die Geburtshilfe sollte auch anders finanziert werden als klassische Kliniken. Ich finde, solange wir in einem Krankenkassensystem sind, das wirtschaftlich arbeiten möchte, wird es extrem schwierig, eine von Zeit und Geld unabhängige Geburtshilfe zu schaffen. Deswegen wäre für mich der sinnvollste Weg eine Finanzierung über den Staat oder über extra Finanzierungstöpfe der Krankenkassen.

Welches Geburtsszenario würden Sie heutzutage empfehlen?

Die perfekte Geburt gibt es natürlich nicht. Wenn man mich fragt, sage ich natürlich, dass eine Frau, die gut aufgeklärt ist und in der Hebammenvorsorge war, aktuell meistens außerklinisch am besten aufgehoben ist, aber dafür muss die Frau auch bereit sein. Letztlich ist der Ort ist aber gar nicht so wichtig. Es geht nur darum, wie die Frau behandelt wird und wo sie sich am Wohlsten fühlt.

Ihnen wurde als angehende Hebamme gesagt: "In dieser Ausbildung werden Sie gebrochen werden." Was würden Sie Hebammenschülerinnen heute mit auf den Weg geben?

Niemand, der die Schülerin nicht kennt, hat das Recht ihre Persönlichkeit anzugreifen. Fachliche Kritik ist dagegen in Ordnung. Deswegen ist mein Rat: Bleibt bei euch selbst, verliert euch nicht und denkt daran, dass man immer auf fachlicher Ebene sprechen kann, aber das Persönliche ist privat.

Zur Person: Eva Placzek

Hebamme war schon früh der Wunschberuf von Eva Placzek (27). Aber nachdem sie mit Missständen und Gewalt in der Geburtshilfe konfrontiert wurde, brach die junge Frau ihre Hebammenausbildung zunächst ab. Bevor sie die Ausbildung erneut aufnahm und schließlich abschloss, arbeitete Placzek als Flugbegleiterin und studierte Wirtschaftspsychologie. Heute ist die Schöllkrippenerin als freiberufliche Hebamme tätig. Auch auf Social Media ist Placzek sehr aktiv. Sie hat auf Instagram über 29.000 Follower und setzt sich für mehr Aufklärung zum Thema Geburt und für eine menschlichere Geburtshilfe ein. Außerdem stand sie 2023 im Finale des Miss Germany Wettbewerbs.

Im Februar 2024 hat Placzek ihr erstes Buch mit dem Titel "Ich, Hebamme, Mittäterin: Mein Einsatz gegen Gewalt im Kreißsaal und für eine sichere Geburtshilfe" im Goldegg-Verlag veröffentlicht. In dem Buch spricht sie über ihre eigenen Erfahrungen mit Gewalt in der Geburtshilfe; darüber, dass es mehr Aufklärung und Menschlichkeit braucht und erläutert ihre Vision für eine sichere und selbstbestimmte Geburtshilfe.

"Ich, Hebamme, Mittäterin", Eva Placzek, Goldegg Verlag, 200 Seiten, 22 Euro.

29.03.2024
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