VG Schöllkrippen: Es war keine Liebesheirat
Main-Echo Pressespiegel

VG Schöllkrippen: Es war keine Liebesheirat

Gebietsreform: Die Verwaltungsgemeinschaft Schöllkrippen setzt die Gebietsreform von 1972 quasi mit anderen Mitteln fort
Schöllkrippen  Es war kei­ne Lie­bes­hei­rat, als am 1. Mai 1978 die Ver­wal­tungs­ge­mein­schaft (VG) Sc­höllkrip­pen ge­grün­det wur­de. Doch 44 Jah­re spä­ter hat sich das Kon­strukt mit jetzt noch sie­ben von einst acht Mit­g­lieds­ge­mein­den be­währt und ist deut­lich ge­wach­sen: auf 14.132 Ein­woh­ner (Stand Sep­tem­ber 2021) und durch Ein­ge­mein­dun­gen ge­mein­de­f­rei­er Wald­ge­bie­te auf 67,32 Quad­rat­ki­lo­me­ter. Heu­te ge­hö­ren Sc­höllkrip­pen, Blan­ken­bach, Som­mer­kahl, Klein­kahl, Wes­tern­grund, Krom­bach, Wes­tern­grund und Wie­sen zur VG. Gei­sel­bach schied 1994 aus.

Ursache für die Neugliederung im oberen Kahlgrund war die Gebietsreform 1972. Die Staatsregierung hatte festgelegt, welche Gemeinden aufgrund ihrer Einwohnerzahl und finanziellen Leistungskraft nicht groß genug waren, um eigenständig zu bleiben. Im Raum standen eine Einheitsgemeinde oder eine Verwaltungsgemeinschaft (VG). Das Landratsamt in Aschaffenburg hätte gerne eine Großgemeinde Schöllkrippen gesehen. Doch die Bürger wählten lieber die Verwaltungsgemeinschaft.

Das allerdings nicht ganz freiwillig. Die Widerstände gegen eine VG waren anfangs groß. Schon bevor der Verbund die eigentliche Arbeit aufnahm, gab es Ärger. Sommerkahl beispielsweise wollte mit Schöllkrippen als Gemeinde zusammengehen. Dies scheiterte lediglich daran, dass einer der Befürworter dieser Lösung bei der entscheidenden Abstimmung im Gemeinderat fehlte.

Westerngrund wollte - wie Kleinkahl - nicht einmal beim vorbereitenden Zweckverband mitmachen. Bürgermeister Otto Unkelbach klagte sogar dagegen - am Ende vergeblich. Von diesem Widerstand merkt die heutige Bürgermeisterin Brigitte Heim (Wählergemeinschaft Wir) nichts mehr. Die Zusammenarbeit zwischen den sieben Gemeinden sei "topp", sagt sie. Auch ihr Vorgänger Lothar Naumann sagt, er habe später keine Kritik mehr an der VG gehört.

Häufig waren es praktische Entscheidungen, die zum Zusammenschluss als VG führten. Bei Kleinkahl lag dies an finanziellen Lockmitteln, die den Bau einer Turnhalle ermöglichten. "Ein Zuckerle", wie der damalige Gemeinderat Armin Amberg sagt. Andere Gemeinden, etwa Blankenbach, zogen die VG einer Eingemeindung vor, um sich ein Stück Eigenständigkeit zu bewahren. Für die Wiesener lag hingegen die neue Kreisverwaltung des Main-Spessart-Kreises in Karlstadt zu weit weg, zumal sich viele Bürger beruflich nach Westen orientierten. So wollten die Wiesener in den Kreis Aschaffenburg und damit zur Verwaltungsgemeinschaft Schöllkrippen.

Welche Idee steht hinter dem Verbund? Die Mitgliedsgemeinden bleiben eigenständig und besitzen eigene Bürgermeister und Gemeinderäte. Jede Gemeinde behält auch Hoheitsrechte wie Satzungs- und Haushaltsrecht. Die VG mit ihren 50 Mitarbeitern - in 43 Vollzeitstellen - übernimmt Aufgaben der Verwaltung wie das Pass- und Meldewesen, Baurechtsangelegenheiten und die laufenden Geschäfte der Mitgliedsgemeinden.

Das Vorhalten von Fachpersonal an "zentraler" Stelle ist aus finanzieller Sicht für die Gemeinden günstiger, als wenn jede Gemeinde eigenes Personal mit Büroausstattung unterhalten müsste. Die Angelegenheiten der einzelnen Gemeinden können schneller und effizienter abgewickelt werden, da viele Aufgaben gleich oder ähnlich gelagert sind.

Der Sommerkahler Bürgermeister Albin Schäfer (CSU) hält es heute für "eine sehr gute Entscheidung", dass seine Gemeinde den Weg der Verwaltungsgemeinschaft gewählt hat. Die Dynamik der Bürger, etwa das Engagement für ein Ehrenamt, sei in der eigenen Gemeinde größer, als wenn man ein Ortsteil sei. Auch finanziell sei es von Vorteil. Die Investitionspauschale des Freistaats erhalte jede Gemeinde der VG. Der Markt Mömbris mit seinen vielen eingemeindeten Ortsteilen erhalte aber auch nicht mehr.

Die Gemeinden heute seien auch nicht mehr die gleichen wie in den 1970-er Jahren, so Schäfer. Die Wirtschaftskraft sei stark gewachsen, eine Eingemeindung aus finanziellen Gründen nicht mehr notwendig. Andererseits seien die Anforderungen an das Personal vielfach gewachsen, etwa bei der Trinkwasserversorgung. Hier sei Fachpersonal gefragt, dass sich eine einzelne Gemeinde kaum leisten könne. Er denkt, dass sich die Zusammenarbeit noch verstärken wird, etwa bei den Kindergärten.

Willi Fleckenstein (Wählergemeinschaft), Bürgermeister von Wiesen und Vorsitzender der VG, sagt, "das Konzept VG hat sich auf jeden Fall bewährt". Die VG Schöllkrippen sei an ihren Aufgaben gewachsen. Schon aus Gründen der Effizienz werde die Zusammenarbeit sicher weiter ausgebaut. Aktuelles Beispiel sei die Gründung eines Betriebszweckverbandes für die Wasserversorgung von fünf Mitgliedsgemeinden. Die gemeindlichen Bauhöfe arbeiteten ebenfalls zusammen. So werde Material wie Streusalz, Sonderkraftstoffe oder Wasserzähler gemeinsam beschafft, es würden gemeinsame Schulungen organisiert und Maschinen untereinander verliehen.

Das Kirchturmdenken ist auf jeden Fall vorbei. Ex-Gemeinderat Armin Amberg in Kleinkahl weist darauf hin, dass heute fast die Hälfte der Einwohner Zugezogene sind, die nur die Verwaltungsgemeinschaft kennen. Albin Schäfer in Sommerkahl meint auch, dass sich die Bürger sowieso nach Schöllkrippen mit seinen Ärzten, Geschäften und öffentlichen Einrichtungen orientierten.

Hintergrund: Der Austritt von Geiselbach

Die Geiselbacher wollten nicht in die Verwaltungsgemeinschaft Schöllkrippen, strebten dagegen 1975 eine Eingemeindung von Hofstädten an, um zusammen mit Omersbach eine eigenständige Gemeinde bilden zu können. Doch die Hofstädtener entschieden sich für einen Zusammenschluss mit Schöllkrippen. Geiselbach musste daher 1978 Mitglied der ungeliebten VG werden.

Glücklich war die Zusammenarbeit nie: 1979, 1982 und 1985 gab es Anträge, wieder aus der VG auszutreten. Doch erst 1992 stimmte das Landratsamt dem Ersuchen zu. Das war in der Bevölkerung aber nicht unumstritten. Bei einer Abstimmung auf einer Bürgerversammlung 1992 hielten sich Befürworter und Gegner eines Austritts die Waage. Dennoch: Zum 1. Januar 1994 trat Geiselbach aus der VG aus und wurde wieder eine eigenständige Gemeinde. Geiselbach war nicht die einzige Gemeinde, die wieder austreten wollte. Kleinkahl stellte 1979 ebenfalls diesen Antrag, scheiterte aber damit.

Bürgermeisterin Marianne Krohnen (CSU) hält den Schritt Geiselbachs für richtig. Eine eigene Verwaltung stehe für Bürgernähe. Verwaltungsakte gingen viel schneller und auch der Informationsfluss sei besser. Geiselbach lebe aber nicht auf einer Insel, so Krohnen. Mit zehn anderen Gemeinden arbeite sie in der Kommunalen Allianz Kahlgrund-Spessart zusammen, was beispielsweise die touristische Vermarktung angehe. Zudem gibt es mit acht Gemeinden im oberen Kahlgrund einen Beschaffungsverband für Feuerwehrfahrzeuge. Geiselbach gehört auch mit weiteren 38 Gemeinden der Lokalen Arbeitsgemeinschaft Spessart an, deren Vorsitzende Bürgermeisterin Krohnen ist.

20.06.2022
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